Der Punkt ist, dass es auch für das Theater darum geht, sich mit der Digitalisierung der Gesellschaft auseinander zu setzen. Und das geht über die Abbildung des Vorgangs auf der Bühne natürlich weit hinaus. Es müssen Arbeitsstellen eingerichtet werden, die es bisher gar nicht gab. Das Digitale Theater wird demnächst als fünfte Sparte an den Theaterhäusern installiert. Digitale Studios, die sich experimentell mit digitalen Formaten im zukünftigen Metaversum* auseinandersetzen. Weiterbildungs und Lernstategien für Künstler und Techniker, die sich in einem fortlaufenden Theater-Produktionsbetrieb befinden.
Kurz gesagt ein LAB für künstlerische Programmierung und digitale Visualisierung.
Meine Ausflüge vor 15 Jahren in virtuelle Welten und dem Versuch, theatrale Formate in eine digitale Welt zu übertragen, war auf Grund des frühen Zeitpunktes und der unzureichenden technischen Möglichkeiten nur teilweise aufschlussreich. Je mehr Zuschauer zeitgleich auf einer Sim (also eingeloggt auf einem Server) im digitalen Theater waren, desto öfter brachen die Server zusammen, ständig verschwanden Zuschaueravatare und tauchten eine Minute später wieder auf. Sie mussten sich halt erst wieder einloggen. Es war kein Vergnügen. Auch die gescripteten Bühnenbilder kamen und gingen, wie sie wollten. Text fand nur im Chatroom statt, unter ständigen Kommentaren der Anwesenden.
Wenn aber die Schnittstelle zwischen digitaler/virtueller Welt und Theaterraum, wie wir ihn kennen, untersucht werden soll, so benötigt man Zeit dafür und unkonventionelle Herangehensweisen. Nicht alles ist sinnvoll oder erstrebenswert. Die Forschung darüber, was die Digitalität mit unserem Verhalten und unseren Wahrnehmungsmustern macht, ist mindestens genauso wichtig, wie die Untersuchung und Entwicklung neuer Formate, die durch Weiterentwicklung der Technik möglich geworden sind.
Entfernen wir uns von der Wirklichkeit, wenn wir in virtuelle Welten eintauchen, oder können wir die Wirklichkeit aus einer neuen, digitalen Distanz sogar besser verstehen?
Ziel einer ersten Etappe ist es, die Grenze zwischen analogem Theater und digitalen Welten zu durchbrechen und so flüssig zu machen, dass die Integration der digital erzeugten Medien und Module uns ganz natürlich erscheint und auch die denkbare Interaktion zwischen beiden Welten Teil zukünftiger „Erzählung“ auf der Bühne sein kann. Auf Grund der zu erwartenden visuellen Effekte dieser Entwicklung, wird es in den Anfängen wieder ein staunendes Publikum geben, welches geneigt ist, in diese neue Wahrnehmungswelt zu flüchten. Sobald dies erreicht ist, sage ich mal voraus, werden es auch wieder die Künstler sein, welche die Grenzen wieder sichtbar machen um eine Immersion* zu behindern, die ein kritisches Betrachtens des Kunstwerkes unmöglich macht. Das Paradox, dem wir hier begegnen, gibt es nicht erst seit heute. Man muss scheinbar die Erfahrung erst ermöglichen, bevor man vor den Folgen warnen kann und auch jemand zuhört. Evolution ist tatsächlich ein langwieriger Vorgang.
Es wird also ein "Für" und "Wieder" geben, wie immer, wenn es darum geht, etwas Neues auszuprobieren. Mit dem Unterschied, es geht nicht darum zu entscheiden, ob es gemacht wird, oder nicht. Es kommt gewiß auf uns zu und wir können es auch nicht mehr stoppen. Politik und Wirtschaft kommen aus dem Strudel der Digitalität nicht mehr heraus. Also, bleibt uns noch zu erforschen, wie sehr es unser Leben beeinflussen wird und wie wir damit umgehen.
Inzwischen sind es die Game - Entwicklerfirmen, die das, was wir damals gemacht haben in der virtuellen Welt, auf ein professionelles Niveau gehoben haben und auf Gameplattformen auch Konzerte und Diskussionsforen veranstalten.
Ich habe aber noch nicht davon gehört, dass sie den Faust aufführen. Das Analogerlebnis Theater wird uns also noch eine Weile erhalten bleiben. Und das ist auch gut so, denn wir lieben die Schauspieler und wollen sie auch live erleben, aber auch sie werden sich mit der Grenze zwischen ihrer Bühnenwelt und digitalen Umgebungen auseinanderzusetzen haben. Wie es ihren Beruf verändern wird, bleibt abzuwarten und hat sich teilweise ja auch schon ereignet, weil bereits Regisseure in den Stadttheatern arbeiten, die in performativen Formaten, die durch digitale Medien auf der Bühne unterstützt werden, die bisherige Zukunft des Theaters sehen, aber es wird natürlich noch viel weiter gehen... Und vor diesem "wo denn noch hin?", haben die "Digital Immigrants" natürlich Angst.
Diese Generation bevölkert nun aber gerade die Leitungsetagen unserer Theater. Es wird also davon abhängen, wie schnell sie lernen können. (Ach, ich gehöre natürlich inzwischen auch zu dieser Generation) Es ist also gar nicht ausgeschlossen, dass sich das Theater trotz der widrigen Umstände weiterentwickeln wird. Toi, toi, toi.
* Matthew Ball beschreibt das Metaversum als „ein Netzwerk dreidimensionaler, in Echtzeit erzeugter, virtueller Welten, durch die sich ein Individuum mit derselben Identität, denselben Objekten, Daten und Rechten bewegt – und das zeitgleich mit einer unbegrenzten Zahl anderer Individuen“. Das Metaversum sei eine Weiterentwicklung des mobilen Internets – möglich geworden erst durch die wachsende Alltagstauglichkeit von Technologien wie virtueller Realität, 5G oder der Blockchain.