Code of Theater
Labor für plastisches Denken

                                                Konzeption

Bevor es eine tragfähige Konzeption für die Akademie geben kann, muss es eine Notwendigkeit geben, sie zu entwickeln.
Zuallererst also über die Notwendigkeit der "Akademie für Plastisches Denken" und seine räumliche Abkopplung vom Theatertempel:

In ihr werden Denkmodelle sinnlich anschaulich dargestellt. Insofern ist ein Theaterstück, welches ein solches Modell hervorbringt, eine "virtuelle Plastik“.
Sie befindet sich gleichermaßen in unserer Wirklichkeit, wie in unserer Vorstellungswelt. In der Wirklichkeit nennen wir es Kunstwerk, in der Vorstellungswelt Gedankenentwurf. Die Verbindung von beidem ist im Theater also schon gegeben und deshalb entschwindet die Grenze auch allmählich aus unserem Bewusstsein.
Allerdings haben wir es im Theater auch oft mit Veranstaltungen zu tun, denen gar kein Entwurf beiliegt, oder Ideen und Denkentwürfe, die zu keinem Kunstwerk führen. Dummerweise befindet sich das Theater auf einem Weg in die industrielle Unterhaltungsindustrie und duldet mitunter nur noch selten Ausflüge ins experimentelle und plastische Modellieren. Man wird sich von dem Gedanken verabschieden müssen, dass die steinernen Tempel der „Erbauung und Hochkultur“ in Zukunft noch beide Aufgaben erfüllen können. Es stellt sich immer häufiger als riesige Kraftanstrengung heraus, gegen den Strom zu schwimmen und nicht dem Bedienmechanismus anheim zu fallen. Was bisher also unter einem Dach stattgefunden hat, ist in seinen Ansprüchen und Produktionsabläufen so weit auseinander gelaufen, dass es an der Zeit ist, sie einfach voneinander zu trennen. Es fällt den Künstlern, wie auch den Zuschauern zunehmend schwerer überhaupt zu erfassen, wozu sie eigentlich gebeten sind. Beide wollen wissen, worum es dem Theater denn nun eigentlich geht. Soll das Zielpublikum nach der Arbeit in einem kulinarischen, erholsamen Vorgang von der Wirklichkeit abgelenkt werden, oder sich mit ihr auseinandersetzen? Die Unzufriedenheit hat oft mit falschen Erwartungshaltungen zu tun. Und die Theatermacher sind ähnlich unsicher. So kann ich von einer seichten Operettenaufführung berichten, die durch ein „grandios verkorkstes“ Regiekonzept den Bach hinunter schipperte. Ein Theater, welches sich über Jahre ein Stammpublikum durch die Bedienung kulinarischer Ansprüche aufgebaut hat, wird mit seinen ambitionierteren Produktionen weiterhin Zuschauerschwund beklagen. Das hat oft zur Folge, dass Sparten, die sich an Experimentelles wagen, ein Nachteil daraus entsteht, dass sie in den Auslastungszahlen Einbußen hinnehmen müssen. Wer will es ihnen verdenken, dass sie das nicht so häufig riskieren, bis die Ambition irgendwann gänzlich zum Erliegen kommt.  Um nicht davon abhängig zu bleiben, was staatlich subventionierte Theaterbetriebe in ihrer fortwährenden Sparmaßnahmenangst für akzeptabel halten, was natürlich oft vom Mut oder Unmut einer Intendantin oder eines Intendanten abhängt, sollten wir diese so unterschiedlichen Vorstellungen vom  Sinn und Zweck des Theaters nicht mehr in einen Topf werfen und dem „plastischen Denken“ eigene Räume der Entwicklung zugestehen.  Akademien für plastisches Denken, wie ich selbige Theater fortan nennen möchte, müssen staatlich subventioniert werden, wie ein Operettenhaus auch. Wenn nicht sogar viel höher, da ihre Chance auf Rückfluss von Unmengen an Eintrittsgeldern weder angestrebt, noch möglich scheint.
Da aber die Verknüpfung von Ökonomie und Kunst in den Stadt - und Staatstheatern immer noch die Höhe der Subventionen beeinflusst, die Zuschauerzahlen die Messlatte für Qualität und Förderung darstellen, ist es also an der Zeit, auch dort klarzustellen, dass Subventionen vor allem dort sinnvoll eingesetzt werden können, wo Profit und Einnahmerekorde gar nicht das Ziel der Kunst sind. Statt dessen wird an den freien Theatern gespart, um das grosse Geld in die Kulturkathedralen zu schaufeln. Auch da muss Verteilungsgerechtigkeit und die Abstimmung auf die eigentlichen Ziele der jeweiligen Einrichtungen geachtet werden.
Sie benötigen überdies technisch modern ausgestattete digitale Studios zu Lern- und Forschungszwecken, Mitarbeiter, die für die technische Umsetzung an der Schnittstelle digitaler Visualisierung arbeiten und Programmierer, die in den Tools, die auf dem Markt zur Verfügung stehen versiert sind, oder auch selbst Schnittstellen entwerfen und umsetzen können. Und das solange, bis wir in einer Gesellschaft angekommen sind, in der die Künstler selbst Programmierer sind, oder die Programmierer Künstler. Neben der OOP (objekt orientierten programmierung) wird es in Zukunft wohl auch die POP (personen orientierte programmierung) geben. Und dies wird das Berufsbild der Künstler*innen maßgeblich beeinflussen.

In einem Labor für "elastisches Produzieren", wird eine Lern- und Entwicklungszeit dem letztendlichen künstlerischen Ausdruck vorangestellt. Diese Entwicklungszeit ist im Prinzip unbegrenzt und meint nicht den begrenzten Probenprozess im Theater, sondern kann sich über Monate und Jahre erstrecken und soll die Zwänge zur finalen Produktion von Irgendwas aufheben helfen. Die naheliegende Vermutung, dass es dann also recht selten Ergebnisse gibt, die man anschauen kann, trifft nicht zu, da jede Idee von der Entstehung bis zur Verwirklichung eine ganz eigene Entwicklungszeit beansprucht, es aber nicht nur eine, sondern viele Ideen gleichzeitig sind, die dem Künstler durch den Kopf schwirren. Sie alle werden zu ihrer Zeit auch einen künstlerischen Ausdruck finden. Wahrgenommen von aussen bleibt die Präsentation zeitlich dicht, wie eh und je. Der Unterschied ist, dass einige dieser Kunstwerke in der Entwicklung ein paar Jahre Vorbereitungszeit gebraucht haben, andere eine Woche. Das hängt damit zusammen, dass die Arbeiten aufeinander aufgebaut sind, so wie wir gewöhnlich ein Werk beschreiben würden. Keines steht nur für sich allein. Es geht aus einer Reihe von vorhergehenden Arbeiten hervor und wird selbst Voraussetzung für neue Ideen und spätere Arbeiten. Und das ist nur die lineare Prozessbeschreibung eines einzelnen Künstlers auf seinem individuellen künstlerischen Weg. In Wahrheit aber befindet er sich in einem Netzwerk von sich aufeinander beziehenden Künstlern, die seine Arbeit beeinflussen oder inspirieren. Ganz zu schweigen von einer sich ständig verändernden Wirklichkeit, die jeden früheren Gedanken noch einmal auf die Probe stellt. Das heisst, ein Theaterstück, welches ich im Jahr 2030 produzieren werde, welches aber in einer virtuellen Welt spielt und mit dem Zuschauerraum interagiert, wozu ich wenigstens eine Programmiersprache erlernen müsste, ein Onlinebezahlsystem in der Blockchain vorausdenken müsste und mich mit noch unbekannten Visualisierungstechnologien auseinandersetzen muss, was nach meinen Erfahrungen selbst ein paar Jahre in Anspruch nimmt, wäre überhaupt nur dann umsetzbar, wenn ich heute anfange, mich darin auszubilden, um mich ausreichend vorzubereiten. Jetzt frage ich mal im Ernst, wann man das tun sollte? Da man sich auf Grund der Gelderwerbszwänge, permanent im Produktionsstress befindet und auf diese Weise natürlich auch in das Jahr 2030 kommen wird, aber mitnichten Teil eines modernen Theaters sein kann, weil immer erst zu spät damit begonnen wird, sich weiter auszubilden und damit auf die Zukunft vorzubereiten.

Die Prozessförderung soll hierfür die finanzielle Unterstützung für das Labor bieten, in welchem wir uns ausbilden, experimentieren und forschen können. Dabei soll nicht ein einziges Theaterprojekt im Mittelpunkt stehen, sondern die Voraussetzung geschaffen werden, für jegliche zukünftigen Projekte, die von der Vorarbeit im Labor profitieren sollen. Ziel ist es, die Grenze zwischen analogem Theater und digitalen Welten zu durchbrechen und so flüssig zu machen, dass die Integration der digital erzeugten Medien und Module uns ganz natürlich erscheint und auch die denkbare Interaktion zwischen beiden Welten Teil zukünftiger „Erzählung“ auf der Bühne sein wird. Das Erlernen von Programmierung eigener Werkzeuge, bis zur Erstellung von Schnittstellen bereits vorhandener Tools und die praktische Anwendung, erfordern Zeit und sind im Alltagsstress der Theaterarbeit nicht parallel möglich. Es gibt bereits interessante Entwicklertools, deren Beherrschung immer wieder Lernzeit erfordert, aber auch die vorhandenen Entwicklungsumgebungen, vorwiegend für den Spielemarkt bereitgestellt, scheinen geeignet, im Zusammenspiel mit diversen Schnittstellen, damit interaktive Räume zu erschaffen.  GameEngines, die über eine IDE verfügen und programmierbar sind, besitzen meist schon eine solche Schnittstelle. Beispiel Unity, welches über C# Scripte gesteuert wird und mit MAX und Midicontrollern auch interaktiv genutzt werden kann. Es geht also nicht nur darum, erworbenes Wissen weiterzugeben, sondern auch selbst dazuzulernen und in den Austausch mit Menschen zu kommen, die an ihrer eigenen Weiterentwicklung interessiert sind. Corona hat uns ein wenig Abstand von den Produktionszwängen verschafft und dazu beigetragen, zu erkennen, dass es nichts bringt, immerzu nur Ergebnisse abzuliefern. Es ist, meiner Ansicht nach sogar viel wichtiger, immer wieder Zeit zu investieren, um zu lernen und damit eine bessere Voraussetzung für die Anforderungen in der Zukunft aufzubauen. Über die Notwendigkeit dieser Tatsache sind sich ja inzwischen alle einig, sonst gäbe es ja solche Förderprogramme gar nicht. Ziel des Projektes ist es darüber hinaus, ein ständiges Labor zu installieren, indem Künstler sich mit den Programmiertechniken vertraut machen können, unterschiedliche Tools praktisch erfahren und damit experimentieren können. Was sie dort gemeinsam ausprobieren und konzeptionell, wie auch praktisch erfahren haben, sollten sie in ihre eigene Arbeit in Zukunft einfliessen lassen können. Um das Theater auf einen modernen Weg des „plastischen Denkens“ und der digitalisierten Erfahrung zu bringen, ist es wohl unumgänglich, dass auch die Theatermacher die Gelegenheit finden, sich mit neuen Technologien vertraut zu machen und damit auch zu neuen Erzähltechniken finden.  Das Labor sollte darüber hinaus eine interdisziplinäre Schnittstelle von Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der Erforschung einer zukünftigen digitalen Gesellschaft sein. (Künstler, Programmierer, Naturwissenschaftler, Dramaturgen u.s.w.)

Es wird in der Zeit des Lernens und Produzierens keine urheberrechtlich geschützten Produkte hervorbringen. Der Grundgedanke ist, dass wir unser Wissen teilen und alles, was wir entwickeln auch allen anderen für ihre Arbeit zur Verfügung stellen. Voraussetzung ist eine staatliche Förderung, die ja erst ermöglicht, sich von den Gelderwerbszwängen, die immer wieder zur Lizensierung führen, abzukoppeln. Allein die Erfahrung des Einzelnen bleibt im Privatbesitz, aber nicht sein Werkzeug.
Dazu sollte ein Anfang gemacht werden, bis es schliesslich ganz normal ist, ein „Labor für plastisches Denken“ zu besuchen, bevor man sich wieder in die Fabrikabläufe der Theatermaschine wirft. Einige werden vermutlich sogar in der Forschung bleiben, wenn es denn endlich eine gibt. Brutstätten, um die Zukunft in Kultur und Gesellschaft vorauszudenken und die Ergebnisse in unterschiedlichsten Formaten zu visualisieren, sind notwendig, wenn wir weiterhin von der Kunst erwarten, innovativ und seismographisch zu agieren, aber die Voraussetzungen dafür nicht bereitstellen. Digitalisierung der Gesellschaft bedeutet für mich daher, zu lernen
und zu forschen, ohne Unterlaß.