Code of Theater
Labor für plastisches Denken

Jonglieren für Selbstbestimmung

Jo Fabians Kybernetisierung von Theater im Labor für Plastisches Denken

von Martina Leeker

Einleitung. Geschichte der Kybernetisierung von Theater und Posthumanisierung

Ich möchte mit meinem Beitrag eine Einschätzung zu Spezifik und Relevanz von Jo Fabians Labor für plastisches Denken für die Auseinandersetzung mit digitalen Kulturen vorschlagen. Diese geht von dessen medienhistorischer Einordnung in eine Geschichte der Kybernetisierung von Theater und Performance seit den 1960er Jahren aus. Kybernetisierung bezieht sich dabei auf die operative, d.h. die auf Kontrolle und Steuerung bezogene Gestaltung technischer Systeme durch Selbstorganisation, nämlich durch das selbstbezügliche Verarbeiten von Informationen mit Hilfe von Feedback, dem Einschleusen von Information in einem Kreislauf. Diese kybernetische Ordnung wird auch in Theater und Performance aus- und aufgeführt, indem zum einen ganz konkret selbstorganisierte techno-humane Systeme erstellt und performt werden (vgl. im Text das Kapitel: 1960er Jahre. Performing Systems Engineering,  dort das Beispiel: 9 Evenings. Theatre and Engineering). Zum anderen bezieht sich die Kybernetisierung auf die Epistemologie des technischen Vorgangs, mit der Selbstorganisation, techno-humane Handlungs-Ensembles sowie eine Analogisierung von Menschen und Maschinen im Duktus von Informationsverarbeitung zu universellen  Kategorien für Aufbau und Funktion von Mensch und Gesellschaft, gar Welt werden (vgl. auch Pias 2002, Pias 2004). Technologische Entwicklung und deren Epistemologie zeigen sich in Theater und Performance ob des Aufkommens sowie der Normalisierung dieser kybernetischen, techno-humanen Handlungs-Ensembles als eine, so meine These, Posthumanisierung von Welt- und Menschheitsgeschichte, mit der sie auf nach-moderne, d.h. mehr-als-nur-menschliche Erzählungen umgestellt werden (vgl. im Text exemplarisch: Kapitel: Seit Mitte der 2010er Jahre. Performing techno-humane Ko-Operativität – Fest der freiwilligen Anpassungen). Das Besondere ist nun, dass das Fabian’sche Labor diese Vor-Geschichte unterläuft, indem sich seine kybernetischen Konzepte und Experimente den techno-humanen Handlungsagenturen widersetzen, die auf freiwillige, aber für menschliche Agierende asymmetrische Anpassungen zielen. Fabians Kybernetisierung entzieht sich diesem Regime nämlich mit, wie es genannt werden könnte, Jonglagen für Selbstbestimmung, da Zuschauende wie Machende aufgerufen sind, jeweils eigene Sinngebungen für Performances zu erzeugen und zu vertreten. Das Labor für plastisches Denken kann mithin als eine äußerst nötige Widerständigkeit gegen eine eher problematische, historisch tradierte Kybernetisierung von Theater und Gesellschaft rekonstruiert werden, die das auflöst, was Selbstbestimmung unter anderem ermöglicht, nämlich eine auf Eigenverantwortung pochende Subjektposition sowie eine kritische Distanz zu technologischen Umwelten. Dabei steht Jo Fabians Lab nicht jenseits digitaler Kulturen, sondern ist deren integraler Bestandteil als eine Art Lab für digitale Kritik und Widerständigkeit.


Diese Einschätzung zu vertiefen und zu veranschaulichen werde ich im Folgenden ausschnitthaft die Geschichte der Bildung a/symmetrischer techno-humaner Handlungs-Ensembles als Effekt der Kybernetisierung von Theater und Performance und deren Politiken rekonstruieren.

In dieser Geschichte werden unter anderem das moderne, mit Vernunft und Autonomie ausgestattete Subjekt sowie auf Aushandlungen im Dissens orientierte politische Organisationsformen abgeschafft und von interdependenten techno-humanen Relationsgefüge und konsensuellen Ritualen abgelöst. Mit dieser Kybernetisierung von Theater und Performance, die einer groß angelegten, grundlegenden und verunsichernden Umstellung der Welt- und Menschheitsgeschichte auf nach-moderne, mehr-als-nur-menschliche Konfigurationen entspricht, entsteht eine für Theater und Digitalität konstitutive und nicht auflösbare Ambivalenz (vgl. auch Leeker 2021a). Sie wird zum einen ob der technologischen Wende notwendig, die mit Entwicklung und Durchsetzung von Systems Engineering in den 1960er Jahren begann. Denn sie brachten mit sich selbstorganisierten kybernetischen Systemen, etwa Telekommunikation, Verkehr, Flugabwehr, Gesundheitssysteme, techno-humane Ensembles erst hervor, was in zeitgenössischen digitalen Kulturen mit Ubiquitous Computing, d.h. der allgegenwärtigen und ununterbrochenen Datenerfassung und -verarbeitung zum Alltag geworden ist. Zum anderen ist die Kybernetisierung im Posthumanen ein technokratisches Unterfangen, denn sie entspricht einer, so könnte es genannt werden, Drogen- und Faszinationsgeschichte einer Existenz in technologischen Environments, mit der menschliche Agierende auf der Grundlage von spiritistisch angehauchten Verortungen und psychedelischen Erfahrungen zu einem integralen, operativen Bestandteil technologischer Umwelten werden. Kybernetisierung, respektive Posthumanisierung von Theater sind also keineswegs mit einer rationalistischen, auf stumpfen Kontrollfantasien beruhenden Technologisierung gleichzusetzen. Diese Geschichte und deren Ambivalenz werden (1) an den 9 Evenings. Theatre and Engineering dargelegt, die 1966 in New York stattfanden. Sie zeichnen sich durch eine Entfesselung von technischen Dingen als kreative Agenten sowie durch spiritistische Aufladungen technologischer Operationen aus und bilden damit als die ersten Manifestationen und Experimente für Theater und Digitalität dessen mentalitäts- und medienästhetische Grundlage. In diesem Zeitraum arbeitete zudem die Gruppe USCO um Gerd Stern an einer „LSD-Art“, wie das Live Magazine 1966 titelte (trippingly 2021), mit der die Besucher*innen ein allumfassendes und dabei revolutionäres, antibürgerliches technischen Be-in erfahren sollten.

https://www.trippingly.net/lsd-studies/2018/6/11/lsd-art-from-life-magazine-1966


In den (2) 1970er/1980er Jahren wurde die Auseinandersetzung mit sogenannten telematischen Performances wichtig, in denen Menschen, die sich an voneinander entfernten Orte befanden, über Kommunikationstechnologie und Projektionsmedien in einem virtuellen, sogenannten „dritten Raum“  miteinander interagieren konnten (vgl. auch Leeker 2023, forthcoming). Dabei wurden Physis und Mentalität im Duktus posthumaner Anpassungen für eine reale Existenz in virtuellen Wirklichkeiten trainiert. Interaktive Performances und Erfahrungen rückten (3) in den 1990er Jahren in den Fokus, mit denen Theater und Performance, die das bloße Anschauen fokussieren, ins Hintertreffen gerieten. Alles ist nun belebt und ruft zum Mittun auf, was die menschlichen Agierenden zwischen hypersensiblen Anpassungen an techno-humane Ensembles und einer grandiosen Selbstherrlichkeit changieren ließ. Seit (4) Mitte der 2010 Jahren sind Theater und Digitalität schließlich im Stadttheater angekommen und arbeiten an Narrativen für die posthumane Welt- und Menschheitsgeschichte, in der anthropologische, soziale, politische und ökonomische Ordnungen auf Relativität und techno-ökologische Relationalität umgestellt werden. In diesem Theater kommt schließlich Kybernetisierung im posthumanen Narrativ an ihr Ende und wird von einem Regime der Resilienz (vgl. auch Sprenger 2019) abgelöst. Denn in dieser Bedingung sind Krisen und damit Kontrollverlust und Kontingenz der Normalfall und nicht mehr das kybernetisch-operativ zu Verhindernde. Statt Lösungen zu suchen oder sichere Systeme zu bauen, geht es vor allem um Anpassungen an Krisen.


In diesem Text werden die historischen Orientierungen stark verkürzt wiedergegeben mit dem Ziel, die Unterschiedlichkeit der historischen und der Fabian’schen Kybernetisierung herauszustellen; Vertiefungen sind in längeren Aufsätzen von mir zu finden, die im Laufe des Textes angeben werden. Dieser Überblick möchte zugleich eine Orientierung für die Auseinandersetzung mit Konzepten und Praxen zu Theater und Digitalität anbieten, die derzeit einen Förderungsboom erleben, aber einer konzeptuellen Verortung hinterherhinken. Die historische Rekonstruktion ist dafür grundlegend, denn erst mit ihr wird deutlich, woran und mit welchen möglichen Effekten aktuell gearbeitet wird. Diese Perspektive soll die Bedeutung des Labors für plastisches Denken noch einmal betonen, mit dem nicht Anwendungsorientierungen für Theater und Digitalität, sondern vor allem notwendige reflexive sozio-politische Transformationen für digitale Kulturen möglich werden könnten.


1960er Jahre. Performing Systems Engineering – Techno-Spiritismus und Psychedelik in techno-humanen Handlungs-Ensembles
Die Performanceserie 9 Evenings: Theatre and Engineering kam im Herbst 1966 auf Initiative von Billy Klüver, einem Ingenieur bei den amerikanischen Bell Telephone Laboratories (Bell Labs) und des Künstlers Robert Rauschenberg im Armory, einer riesigen Militärhalle in New York, zur Aufführung (einführend: Bonin 2006a, Bardiot 2006). Mit diesen Performances wurde ein signifikanter Bruch mit tradierten Vorstellungen von Kunst und Performance sowie bezogen auf der Verhältnis von Mensch und Technik vollzogen. Im Kontext des Aufkommens und der Durchsetzung von technischen Systemen (Systems Engineering) standen nämlich auch in der Kunst nicht länger Werke im Zentrum, sondern gemäß des Kunstwissenschaftlers Jack Burnham eine „Systems Esthetics“ (Burnham 1968). Zur Anschauung kam die Selbstorganisation von künstlerischen oder technischen Systemen, in denen menschliche Agierenden, so sie denn überhaupt noch vorkamen, zum integralen Bestandteil wurden. In dieser Ästhetik wurde in den 9 Evenings in performativen Experimenten der crème de la crème der amerikanischen Neo-Avantgarde – beteiligt waren u. a. die Komponisten John Cage und David Tudor sowie die Begründer*innen des zeitgenössischen Tanzes Alex Hay, Yvonne Rainer und Deborah Hay – mit mindestens 30 Ingenieuren der Bell Labs ein System zum Transport und zur Steuerung von Signalen entworfen und umgesetzt (Bonin 2006a).  So konnten z.B. Manifestationen der Körper der Akteure oder Bewegungen von Dingen Licht oder Sound beeinflussen oder visuelle Effekte steuern. Damit startete die Geschichte der Kybernetisierung von Theater, die sich in den 1960er Jahren als dessen Übersetzung in die konkrete Operativität eines Systems zeigt. Mit dieser setzte die Posthumanisierung von Theater insofern ein, als technische Dinge Handlungsmacht erhielten, was wiederum dazu führte, dass menschliche und technische Agierende zu einem Relationsgefüge verwoben wurden. Theater und Performance wurden nunmehr mehr-als-nur-menschlich.


Die Auswirkungen dieses Vorgangs, die speziell in Theater und Performance als einem kulturellen Labor für Technikgeschichte(n) des Menschen (Leeker 1998) erscheinen, zeigen sich in drei Aspekten. Es kam (a) zu einer Verräumlichung von Technologie und einer Performativierung technischer Dinge, womit Medien von einem instrumentellen Objekt zu einer umweltlichen Techno-Ökosphäre wurden, in die Menschen ohne Entkommen eingelassen sind. Den entstehenden techno-humanen Handlungsensembles wurden im Performen bemerkenswerterweise wieder (b) Subjekte hinzugefügt, die derart zwischen Kontrolle und Kontrollverlsut changieren, dass sie die Illusion von relativ autarker Handlungsmacht transportieren. Schließlich erfolgte (c) in den Systemen der Künstle*rinnen eine spiritistisch-okkulte Aufladung ersterer, mit der das technische Environment im Duktus einer Faszinationsgeschichte digitaler Kulturen als Sein in einem kollektiven und in höhere Ordnungen eingelassenen, Welt und Mensch verbessernden technologischen Schwingen nobilitiert wurde.


Paradigmatisch für Erzeugung und Wirkung dieser Aspekte ist die Arbeit Bandoneon! (a combine)

(Tudor – bandoneon: https://www.youtube.com/watch?v=DR70wfEyYro) von David Tudor (Bonin 2006b), einem führenden Vertreter der elektroakustischen Musik.

In diesem Werk sollte mit der Übertragung von Signalen aus dem Bandoneon eine Selbstkomposition technischer Geräte bezogen auf Klang und Bild erzeugt werden (Leeker&Steppat 2015). Dazu wurden Signale von den Vibrationen der Stimmzungen beim Öffnen und Schließen des Instrumentes abgenommen und über Mikrofone in elektrische Signale verwandelt, verstärkt und anschließend an Ausgabegeräte wie u. a. einen Videoprojektor weitergeleitet. Die akustische Komposition stellte sich über Klangskulpturen her, die auf kleinen, ferngesteuerten „carts“ (Wägelchen, Bardiot 2006) im Raum transportiert wurden. Kamen die Resonanzkörper und Mikrofone auf den „carts“ an die im Raum fixierten Klangkörper und Lautsprecher heran, entstanden Phasenverschiebungen und Interferenzen zwischen den Klangschwingungen und damit positives Feedback, das als Klang ertönte. In den 9 Evenings wurde mithin eine Verräumlichung von Medien und technischen Geräten vorgenommen und diese dabei auf Systems Engineering mit informationstechnisch-kybernetischen Steuerungen umgestellt. Dies brachte die menschlichen Agierenden in eine prekäre Lage, denn nunmehr waren sie Teil eines großen Ganzen, das sie nur bedingt unter Kontrolle haben.
Auch Tudor geriet in eine Situation der Unkontrollierbarkeit der Effekte der sich bewegenden Geräte. Dieser setzte er allerdings zugleich eine radikale Handlungsoption entgegen, denn er verfügte über einen Schalter, mit dem er den Signaltransport umgehend stoppen und so die kybernetische Komposition der technischen Dinge unterbrechen und zum Schweigen bringen konnte. Der menschliche Agierende gibt sich mithin zum einen als Agent der technischen Dinge und lässt dabei die Kontrolle über das System fahren. Zum anderen brachte Tudor sich in die Position eines selbstherrlichen Subjektes, das Technik nutzen und sie zudem einfach abschalten konnte. Diese ambivalente Subjektposition trägt sich bis in aktuelle digitale Kulturen fort. Sie steht dabei für die Unterwerfung unter die schön geredeten techno-humanen Ko-Operationen und lebt von der Fantasie, dass man im schlimmsten Fall doch noch alles stoppen könnte.
Schließlich kommt es in Bandoneon zu einer Überlagerung des technischen Environments mit einem umfänglichen spiritistischen Hauch. Diese erklärt sich, wenn in Betracht gezogen wird, dass Tudor nachweislich Leser von Rudolf Steiner war und seit 1957 Mitglied der anthroposophischen Gesellschaft (Rogaslky 2006, Nakai o. J., Leeker 2017, Leeker 2019). Wenn Tudor also die Selbstkomposition der Geräte unterbrach, um den Nachhall im Armory (dem Aufführungsort der Performancereihe) hörbar werden zu lassen, dann ging es ihm um das Evident-Machen eines sphärischen Klanges. Tudor dürfte nämlich Rudolf Steiners „Sphären- und Klangäther“ im Sinn gehabt haben, diesen Träger einer von Steiner angenommenen, kosmischen  „Sphärenharmonie“ (Steiner 1904/1980). Demnach schwingt und klingt das Weltall unaufhörlich und die menschlichen Wesen sind in diese höhere Ordnung eingelassen und schwingen beseelt und taumelnd mit. Bei Tudor weitet sich dieser Äther im Eigenklang der elektrischen Geräte und technischen Umwelten zu einem Techno-Äther aus, denn die technologischen Dinge werden nun zu Medien des Sphärischen. Im elektromagnetischen Leitungs- und Modulationsraum des technisch gestützten Äthers entstanden so die Visionen des Künstlers zur Verkopplung von Mensch und Technik als Faszinationsgeschichte medialer, genauer spiritistischer Vermittlung. So gelangten in die Theorie und Praxis des Systems Engineering Spuren eines Techno-Spiritismus, die es bei der Analyse von Bindungen zwischen Mensch und Technik in der Kybernetisierung von Theater und Performance sowie der posthumanen Techno-Ökologien als zentrale Diskurse zur Konstitution digitaler Kulturen zu beachten gilt.


Ein weiteres Beispiel für diese Faszinationsgeschichte ist die Arbeit der Künstler*innengruppe USCO, deren Projekte zwischen 1962 und 1966 auf verschiedenen Reisen zwischen der Ost- und Westküste der USA in Museen, Universitäten oder Colleges gezeigt wurden (vgl. hier und zum Folgenden auch: Turner 2006, Turner 2008, Turner 2013; Oren 2010; Leeker 2017). Es ging um die Bildung von „immersive environments of total surround“ (Kuo, zit. nach Oren 2010, S. 90). Dabei entpuppen sich Kybernetisierung und Posthumanisierung als eine medientechnisch verbürgerte Drogengeschichte. Denn die Künstler*innen von USCO sahen Drogenerfahrungen als geeignet an, um die totale Immersion zu ermöglichen, da die mit ihnen verbundenen, oft halluzinatorischen Wahrnehmungen das Bewusstsein erweitern würden. Diese Erlebnisse, die sie selbst beim Drogenkonsum machten, sollten deshalb in ihren psychedelischen Inszenierungen medientechnologisch erzeugt werden (vgl. Website National Art Gallery, USCO).  https://www.nga.gov/audio-video/video/usco-conversation.html


Mit Stroboskoplicht, Projektionen von Filmen, Fotos und Wortspielen auf multiperspektivisch angeordneten Leinwänden sowie mit einhüllender, elektronischer Dröhnmusik (drone music) sollte ein „Be-in“ entstehen, d.h. die Erfahrung eines Verflochtenseins sowie eines kollektiven Schwingens mit der Umwelt. Im Life Magazin vom September 1966 liest sich die USCO- Ästhetik wie folgt:
„Amid throbbing lights, dizzying designs, swirling smells, swelling sounds, the world of art is ‚turning on’. It is getting hooked on psychedelic art [...]. Its bizarre amalgam of painting, sculpture, photography, electronics and engineering is aimed at inducing the hallucinatory effects and intensified perceptions that LSD, marijuana and other psychedelic (or mind-expanding) drugs produce – but without requiring the spectator to take drugs. [Viewers, Einfügung ML] … become disoriented from their normal time sense and preoccupations and are lifted into a state of heightened consciousness. In effect, the art may send them on a kind of drugless ‚trip‘. (Life Magazin 1966, S. 61)
Mit ihren Überlegungen und Methoden standen USCO keineswegs allein. Vielmehr schließen sie an Überlegungen von Marshall McLuhan, Begründer der Medienwissenschaft, aus einem Interview mit dem Playbay von 1969 an (McLuhan 1969). Für ihn waren halluzinogene Drogen das beste Mittel, um sich an das elektronische Environment anzupassen, das mit seinen Geräten und Medien selbst wie LSD wirken würde. McLuhan formuliert im Interview: „Drug taking is stimulated by today’s pervasive environment of instant information, with its feedback mechanism of the inner trip. The inner trip is not the sole prerogative of the LSD traveler; it’s the universal experience of TV watchers. LSD is a way of miming the invisible electronic world; it gives [...] the potential of instant and total involvement, both all-at-onceness and all-at-oneness, which are the basic needs of people translated by electric extensions of their central nervous systems out of the old rational, sequential value system. The attraction to hallucinogenic drugs is a means of achieving empathy with our penetrating electric environment, an environment that in itself is a drugless inner trip.“  (McLuhan 1969).
Diesen Erfahrungen wurden von USCO wie von McLuhan eine politische Wirkung zugestanden. Sie sollten verklemmte bürgerliche Vorstellungen von Sexualität und Geschlechterrollen sowie deren segregierende Gesellschaftsformen ob des gemeinsamen Schwingens sowie der anti-rationalistischen Bewusstseinserweiterung überwinden. McLuhan spricht gar davon, dass die elektronischen Environments ein global village erzeugen würden, in dem ähnlich eines Stammeslebens alles mit allem verbunden sei und also eine gleichgestellte Gesellschaft entstehen könne. Die traurige Wirklichkeit der Kommunen in der Counterculture, zu denen auch USCO gehörte, war allerdings, dass Kinder der weißen Mittelschicht zusammenkamen und die weiblichen Mitglieder die Arbeit für Haushalt und Familie verrichteten (vgl. auch Turner 2006, Turner 2008).


Diese frühen Episoden der Kybernetisierung von Theater zeigen, dass mit ihr digitale Kulturen auf spiritistischen, psychedelischen und utopistischen Denkfiguren und Praktiken aufsetzen. Diese nobilitieren zum einen Technologie als Medium für die Lösung von sozialen und politischen Probleme, wie etwa in der medien-psychedelischen Revolution à la USCO oder der Feier techno-humaner Handlungsagenturen bei den 9 Evenings. Zum anderen sind die Ästhetiken der Performances nicht schlicht bewusstseinserweiternd, sondern wohl vor allem betörend, verzaubernd und blendend, sodass Einblicke in die problematischen, auf Anpassung beruhenden Regime der techno-humanen Systeme verunmöglicht wurden. Es wird sich zeigen, dass genau diese Blendung in der Fabian’schen Form und Methodologie der Kybernetisierung unterlaufen wird.


1970er/80er Jahre. Performing distant socialising – VR goes real
In den 1970er und 1980er Jahren wird ein anderes Thema im Kontext der Kybernetisierung von Theater und Performance wichtig, nämlich der Umgang mit und die Anpassung an sogenannte telematische Performances. Diese konstituieren sich aus einer virtuellen oder digitalen Liveness, nämlich aus einer Gleichzeitigkeit der Präsenz unter den Bedingungen örtlicher Getrenntheit. Für die gemeinsamen Operationen werden Bilder der Interagierenden transportiert und in einem Projektionsmedium als sogenanntem dritten, virtuellen Raum zusammengeführt. Die Kybernetisierung setzt unter diesen Bedingungen an der Herstellung einer Physis an, die es menschlichen Agierenden erlaubt, in den telepräsenten Performances und deren Zeitregime handeln zu können. Im Fokus steht mithin nicht der Aufbau eines selbstorganisierten Systems, sondern vielmehr die Formung einer virtuellen oder digitalen Mentalität, wie es genannt werden könnte. Diese Kybernetisierung entspricht einer Virtualisierung, die sich dadurch auszeichnet, dass Virtualität zu einer eigenen und der analogen gleichwertigen Wirklichkeit eines distant socialising wird; ein Umstand, der wohl erst in den pandemischen Bedingungen nachvollziehbar wurde (vgl. hier und zum Folgenden: Leeker 2023).
Diese virtualisierende Kybernetisierung begann in den 1970/80er Jahren. Ausgangspunkt sind die Arbeiten Satellite Arts Project (1977, Website Satellits Arts Project) und Hole in Sapce (1980, Website Hole in Space) von Sherry Rabinowitz und Kit Galloway. Sie erfanden und etablierten, was in der pandemischen Lage als „Netztheater“ (Heinrich Böll Stiftung 2020) zur Normalität wurde, nämlich mit Menschen, die sich an unterschiedlichen, voneinander entfernten Orten befinden, in einem technologischen Raum zur gleichen Zeit zu kommunizieren und zu performen. Besonders wichtig ist nun in der Arbeit von Rabinowitz und Galloway, dass die Übertragung der Bilder hochgradig affektiv aufgeladen und so zu einem sozialen Ereignis wird. In Hole in Space waren z.B. in New York und in Los Angeles Projektionsflächen aufgebaut, auf denen die je entfernten Menschen in Phasen der Übertragung erschienen (siehe: Nachtkritik plus 2022). Die Aktion war nicht angekündigt, sodass die Bürger*innen diese zufällig entdeckten und sich das Ereignis via Mund-zu-Mund-Propaganda sowie über das Fernsehen verbreitete. Menschen begannen sich zu verabreden und schließlich kam es zu herzzerreißenden Szenen von Familienzusammenführungen, wenn sich etwa Eltern und erwachsene Kinder auf beiden Seiten trafen und die neugeborenen Enkelkinder gezeigt wurden oder Geschwister sich nach langen Jahren der Trennung wiedersahen. Das heißt, es ist das performative Setting, mit dem die bloße technische Übertragung zu einem sozialen Event und dabei der Bildschirm der Videobildübertragung zum gemeinsamen Raum wurden. Das Entscheidende ist dabei das Realität-Werden von Virtualität als Bedingung von Liveness, Körperlichkeit und Sozialität in distant socialising. Es geht mithin um eine Erweiterung der physischen und sozialen Existenz ins Virtuelle.
Dies zu erreichen, sind allerdings tiefgehende psycho-physische Eingriffe nötig, denn das Real-Werden bedarf eines besonderen Trainings, das in Theater und Performance mit Telepräsenz vollzogen wird. Es geht um Auto-S(t)imulation (Leeker 2022, Leeker 2023 forthcoming), mit der das im Technologischen Fehlende, etwa Gerüche, Berührung oder der Umgang mit der Rechts-Links-Verdrehung im Videobild, mit Hilfe von psycho-physischen Stimulierungen simuliert und dabei zugleich die für das Telematische konstitutiven zeitlichen Verzögerungen in der Übertragung der Videobilder synchronisiert werden (Paulsen 2013). Diese Fähigkeit ermöglicht die für die Realität der Telepräsenz typische doppelte Körperlichkeit, die sich aus dem Körper im analogen, physikalischen Raum und dem im virtuellen Raum (Videobild des Selbst oder Avatare) konstituiert.
Diese Physis und Mentalität sind, und das ist entscheidend, nicht nur Grundlage für das distant socialising als Existenzform digitalen Performens, sondern auch für die in zeitgenössischen digitalen Kulturen ausschlaggebende techno-humane Ko-Operativität, die auf Virtualität beruhen, mit der analoge und virtuelle Welt verkoppelte werden. Beispiele sind durch Roboter gestützte, minimal-invasive medizinische Operationen, die mit virtuellen Bildern der Schnitte im Körper funktionieren, denen sich die menschlichen Agierenden auto-s(t)imulativ anpassen müssen (Leeker 2022). Ein weitere Beispiel ist das autonome Fahren, in dem die mitfahrenden Menschen der Erstellung virtueller Karten ausgeliefert sind (vgl. Sprenger 2019). Das digitale Theater mündet als Netztheater mithin in einer Umgestaltung von Physis und Mentalität für eine analog-virtuelle Existenz, an der sich schließlich deren Politiken zeigen. Es geht um ein Regime der freiwilligen und wohlgemuten Adaption und Antizipation, in dem sich die techno-humanen Ensembles aufeinander einstimmen, einlassen und vorausahnen. In dieser ist mit technischen Dingen als gleichwertigen „Partnern“ zu rechnen und „Mensch“ nur noch als Teil von unhintergehbaren techno-humanen Handlungsensembles zu entziffern. Es geht mithin um eine reelle Kybernetisierung und Posthumanisierung von Physis und Mentalität.
Diese telematischen Projekte bilden auch die Vor-Geschichte von Performances in Zoom oder in VR-Chat-Rooms, in denen mit Hilfe von Avataren performt werden kann. Diese Anwendungen wurden prominent während der pandemischen Lockdowns 2020 – 2022. Mit ihnen wurden Formen von und Kompetenzen für distant socialising und digitale Liveness essentiell, um z. B. Lehre, Forschung, Kunst, Theater oder Arbeit aufrechtzuerhalten. Die pandemischen Bedingungen machten mithin vor allem die Gleichrangigkeit der virtuellen Existenz mit der analogen deutlich. Was auf den ersten Blick recht leicht von der Hand ging, beruht dabei auf der skizzierten Vor-Geschichte der Kybernetisierung von Theater in telematischen Performances. Das heißt, die virtuelle Kybernetisierung konnte nur deshalb schnell funktionieren, weil sie schon eingeübt worden war.


Einwurf 1: Virtualität bei Jo Fabian – Melancholie der unmöglichen Transgression und kurzer Film über die Vergeblichkeit
Auf der Website von Jo Fabian (Jo Fabian department) finden sich unter dem Titel Pixel in Motion zwei Filme (https://www.jofabian.com/pixelmovement), die sich als Beispiele für seinen Umgang mit kybernetischer Virtualisierung lesen lassen. Grundlage dafür ist, dass es sich letztlich bei Virtualität ja nicht um Räume, oder Menschen, sondern um kybernetische Konstrukte aus Information und deren Übersetzung in Pixel handelt. Ob der Analogizität des Menschen können diese Räume nicht von ihnen betreten werden und den Pixel-Menschen können sie nicht begegnen. Oder anders: Jo Fabian zieht Grenzen und erhält sie aufrecht. Damit unterläuft er das physisch-mental-affektive Real-Werden von Virtualität und weist ihm seinen Platz zu, nämlich ein Sein als Gegenüber, mit dem keine Transgression möglich ist, es sei denn, sie würde aufwendig hergestellt, wie in der Geschichte der Kybernetisierung als Virtualisierung gezeigt.


So sieht man in Startpoint Faust (Website Pixel in Motion) einen Schauspieler von einer kreisrunden Projektionsfläche stehen, auf der er selbst als Videobild erscheint. Es gelingt den beiden allerdings nicht, nennenswert Kontakt aufzunehmen und Kommunikation zu betreiben. Sie stehen vielmehr rat- und hilflos vor- und nebeneinander und wissen nicht recht etwas miteinander anzufangen. Eine gewisse Melancholie macht sich breit ob dieses Hole in Space, das eine andere, aber nicht begehbare und nutzbare Welt zeigt. Jeder ist und bleibt für sich.


In Finde Ruth (Website Pixel in Motion) sieht man eine recht grobe und klobige animierte Figur auf der Suche nach Ruth, wie der Titel verrät, durch einen anscheinend unendlichen Raum gehen. Der Kopf der Figur ist gesenkt. Man empfindet sie als traurig, niedergeschlagen, ja hoffnungslos. Nach und nach tauchen immer mehr von diesen Figuren auf, die unaufhörlich durch den unwirklichen Raum laufen und nichts anderes finden, als sich selbst. Hin und wieder knallen große Würfel auf den Boden des Raumes. Ruth wird im Film nicht gefunden und die Suche nach ihr scheint bedrohlich.


Diese Geschichten und Handlungen können als ein Abgesang auf die affektiven Überladungen von Virtualität und die Bindungen an diese gelesen werden. Übrig bleiben die technologischen Bedingungen der virtuellen Kybernetisierung. Sie entsprechen einer eigenen Wirklichkeit, die eigenen Gesetzen folgt. Transgressionen finden nicht statt und so bleiben die Pixel-Räume und Pixel-Figuren wie ein Mahnmal an die Sterblichkeit von Mensch und die Vergänglichkeit der Materialität, der man eben nicht entfliehen kann. Eine tiefe Melancholie bleibt zurück ob dieser Einsichten in die Bedingungen der Wirklichkeiten und Möglichkeiten von Existenz und Digitalität.


1990er Jahre. Performing Interaktivität – hypersensible Allmachtsfantasien
In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde die Selbstorganisation der technologischen Systeme durch Kommunikationsschwierigkeiten mit menschlichen Agierenden problematisch, da sie immer wieder scheiterte. Es ging nun darum, Alltagswelt und Kommunikation der menschlichen Agierenden, die als komplex, kompliziert und situiert angesehen wurden (Suchman 1987), in von Computern gesteuerte technische Environments zu übersetzen. Es setzte eine Phase interdisziplinärer Studien ein, wie z. B. die Workplace Studies (Schmidt 2015), in denen die Kooperationen von menschlichen und technologischen Agenten ausgelotet wurden und nach Wegen gesucht wurde, diese in Systemen wie z. B. der Computer Supported Cooperative Work (CSCW) zu formalisieren.


In dieser Situation kommt es zu einer weiteren Phase und Form der Kybernetisierung von Theater und Performance, die interessanterweise jenseits der Institution Theater stattfindet und virulent wird. Es geht um interaktive Installationen, die Ende der 1980er Jahre aufkamen und bis in die 2000er Jahre hinein en vogue waren (Dinkla 1997). In diesen konnten die Besucher*innen in sogenannter Echtzeit auf ihre technische Umwelt Einfluss nehmen und diese wiederum auf erstere, und so fort. Dabei wurde der Fokus von Theater und Performance als das Anschauen von Agierenden in Aufführungen auf die eigene Erfahrung der Interagierenden verschoben.


In dieser Phase wurde es zur Normalität, dass technologische Environments in Kunst und Performance interaktiv sind, re/agieren könnte; Verwirrung wäre eingetreten, wenn sie es nicht gewesen wären. Beispiele sind etwa die Installation „The Interactive Plant Growing“ (Mignonneau&Sommerer 1992), in der über das Berühren von Pflanzen auf einer großen Projektionsfläche Pflanzenbilder generiert und manipuliert werden konnten.

http://www.interface.ufg.ac.at/christa-laurent/WORKS/CONCEPTS/PlantsConcept.html


Im „Very Nervous System“ (VNS, Website Very Nervous System) von David Rokeby (Rokeby et al. 2010) konnten mit Hilfe der vom Künstler entwickelten Software softVNS (Rokeby 2002) in sogenannter Echtzeit Sounds durch Bewegungen ausgelöst werden. Technisch betrachtet, unterbrechen die Interagierenden über Interfaces wie Kameras, Drucksensoren oder Mikrofone die Verrechnungen des Computers und steuern damit dessen weitere Regulierungen. Entscheidend ist dabei, dass die Outputs der Geräte wiederum auf die menschlichen Agierenden zurückbezogen werden, sodass letztere einen neuen Input generieren, sich also eine fortlaufende Interaktion als wechselseitiges Re/Agieren ergibt.


Diese Bezugnahme ist allerdings nicht selbstverständlich, da auf der operativen Ebene kein spezielles Interesse am Menschen besteht. Die Installation kann nämlich z. B. durch alles gesteuert werden, was sich bewegend in einem Videobild Unterschiede erzeugt. Der technischen Kybernetisierung wurde deshalb eine affektive und diskursive zur Seite gestellt. Ein entscheidender Faktor ist dabei zunächst die sogenannte Echtzeit, d.h. die gleichsam unmittelbare Reaktion der Installation auf die Aktionen der menschlichen Interagierenden. Diese Unmittelbarkeit ist allerdings unmöglich, da die Verrechnungen im Computer Zeit brauchen. Zum anderen wurden die Installationen mit medienästhetischen Diskursen aufgeladen. Beispielhaft ist die Konzeptualisierung von Interaktivität bei David Rokeby. Die Interaktionen im VNS sollten einen außergewöhnlichen und auf körperliche und perzeptive Ganzheit zustrebenden Erfahrungsraum bilden und die Nutzer_innen in der technischen Umwelt situieren. David Rokeby schreibt etwa: „The music of the ‚Very Nervous System‘ installations is not so much in the sounds that you hear, but in the interplay of resonances that you feel as you experience the work with your body.“ (Rokeby 1990). Dieses Konzept erinnert nicht von ungefähr an die mit okkulten Vorstellungen durchtränkten Sphärenklänge sowie den Techno-Äther von David Tudor in den 1960er Jahren. Es geht einmal mehr darum, an einem kollektiven Schwingen im Technologischen teilzuhaben. Derart dürfte in den installativen Performances eine Art Urvertrauen oder Ur-Schwingen entstehen, mit denen dann die interaktiven Operationen zwischen Geräten und menschlichen Agierenden am Arbeitsplatz einfacher und glückseliger vonstattengehen.


Zudem wird die installative Interaktion sozio-politisch aufgeladen. Denn diese besonderen Resonanzen seien, so Rokeby, Grundlage dafür, dass im Wechselspiel von Aktionen und Reaktionen eine „response-ability“ (Leeker 2001, S. 205–231) entstünde. Erst die Möglichkeit antworten zu können, erlaube es, überhaupt Verantwortlichkeit für die sozio-technischen Umwelten und die eigenen Handlungen zu entwickeln.


Schließlich sorgen die interaktiven Performances und Performanzen für eine Umstellung im Verhältnis zu Kontrolle. Im Gegensatz zu den Unternehmungen von David Tudor bleibt nun nämlich Kontrolle aus und es wird nicht mehr nach einer autarken Subjektposition gesucht. Rokeby betont vielmehr, dass eine Wiederholung eines bestimmten Sounds nicht möglich sei, da jede wiederholte Bewegung eine andere sei und somit ein anderer Soundtrack ausgelöst und gestaltet würde (Rokeby 2001, S. 50–77). Damit wird der menschliche Akteur bezogen auf das Vorhandensein einer autonomen Handlungsmacht enttäuscht und Vorstellungen von Intentionalität torpediert. Eine auf ein Subjekt bezogene Konstitution von Handeln wird abgelöst durch das Sein in der kooperativen Interaktion mit der technischen Umwelt. Dabei handelt es sich allerdings ob der diskursiv und affektiv erzeugten Zuschreibungen an Technik um eine Illusion.


Derart wird in den künstlerischen Interaktionen verschwiegen, dass die menschlichen Agierenden sich den technologischen Bedingungen anpassen. Denn diese schaffen den Rahmen dafür, in welchem Raum und mit welchen Aktionen überhaupt Effekte ausgelöst und gesteuert werden können. Letztlich geht es aber bei dieser  Kybernetisierung im Performen um eine Hyperaktivierung und Hyper-Affizierung sowie eine Bindung an technische Umwelten, die durch deren vermeintliche Zugewandtheit zum Menschen entsteht, durch die sie sich lustvoll und ästhetisch verzuckert anpassen. Operative Kybernetisierung und deren Nobilitierung in Künstlerisch-Performativen gehen Hand und Hand und konstituieren die Kybernetisierung von Theater und Performance in den 1990er Jahren.


Einwurf 2: Jo Fabian im interaktiven Gewusel – Kühler Kopf und verantwortungsvolle Dosierungen
Interessanterweise erarbeitete auch Jo Fabian in diesem Kontext 2001 mit Tristan und Isolde. Nicht Berühren ein interaktives „Ausstellungsstück“ (euroscene leipzig 2001), wie er es nannte. Auf der Website von euroscene leipzig (ebd.) findet sich folgende Beschreibung: „Die Installation besteht aus einer Glasvitrine und einer Tastatur. In diese Tastatur kann der Zuschauer Bemerkungen, Assoziationen, Fragen eingeben. Fabians choreografisches Instrument, das Alphasystem, erlaubt es den Tänzern, die geschriebenen Texte Buchstabe für Buchstabe zu vertanzen.“ (ebd.). Entscheidend ist nun im Konzept des Ausstellungsstückes, das die positive Bewertung der Verbindung von Interaktion und Theater in Frage gestellt wurde. Je mehr nämlich interagiert wurde, desto weniger war von der Performance der beiden Tanzenden sichtbar ist. Denn ihr Atem ließ die Glaswände beschlagen und so wurden sie verdeckt, je mehr sie tanzen mussten. Damit unterläuft Jo Fabian den Hype auf Interaktion und setzt an die Stelle der Interaktionsmöglichkeit (response-ability) eine Verantwortlichkeit (responsibility) für diese.


Während in den interaktiven Installationen eine Hyper-Sensibilisierung ausgelöst wurde, da man Teil einer sensorisch aufgeladenen, technologischen Umwelt war, und in dieser zugleich in eine Art Größenwahn verfiel, da man gleichsam allmächtig mit jeder Regung des eigenen Körpers Effekte erzielte, tritt bei Jo Fabian eine Reflexion des eigenen Handelns ein. Damit wird an die Stelle der Anpassungen an die ubiquitären technologischen Environments die individuelle Wahl gesetzt auch nicht zu handeln. In den datenhungrigen Umwelten gilt es gleichsam sich still zu verhalten und statt unüberlegt zu agieren, performativen Aufführungen kontemplativ, mithin mit Abstand und individueller Lektüre, zu goutieren und über sie nach eigenem Gusto zu reflektieren. Statt die Puppen tanzen zu lassen, wäre sehr zaghaft und wohlüberlegt zu handeln, denn gar nichts zu tun hieße, dass keine Performance sichtbar würde, wird der Tanz doch erst durch die Interventionen der Besuchenden ausgelöst. „Kluge Dosierungen“ lautet das Motto für eine Existenz in den kybernetisch-performanten Umwelten. Sie brauchen Theater als Medium, um diese Dosierung zu üben und über sie zu sinnieren, denn es ermöglicht im Zuschauen und Nachsinnen erst die Position eines Subjektes sowie des Abstandes für Kritik. Wer immerzu handelt und sich dabei unbemerkt an die technologischen Bedingungen anpasst, kann nicht mehr nach- und vordenken. Jo Fabian kommt mithin mit einem klaren Votum für das Theater der klaren Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum ins Spiel der posthumanen Kybernetisierungen.


Seit Mitte der 2010er Jahre. Performing techno-humane Ko-Operativität – Fest der freiwilligen Anpassungen
Seit Mitte der 2010er Jahre ist das Thema Theater und Digitalität auch im Stadttheater angekommen. Nun wird eher auf die posthumane Epistemologie der Kybernetisierung abgehoben, mit der im Duktus von technologischer Selbstorganisation, techno-humaner Ko-Operativität und latent okkulten und animistischen Aufladungen nach-moderne Bedingungen entstehen, die die technokratischen Regime nobilitieren. Die zeitgenössische Bewertung der Posthumanisierung, die aus der Geschichte der Kybernetisierung von Theater entstand, gründet dabei auf dem Diskurs, dass die techno-ökologische Verbundenheit, in der der Mensch aus seiner Stellung als Herrscher der Erde herausfällt, deren Rettung sowie eine gleichgestellte Gesellschaft möglich werden könnten. Denn wo alle Lebewesen miteinander verbandelt sind, ist eine gleichrangige Ordnung denkbar, so die Logik von Denkfigur und Argumentation (siehe vertiefend: Leeker 2020). In dieser Lage beginnen die Stadttheater mit aller Gründlichkeit und Umfänglichkeit, eine posthumane Welt- und Menschengeschichte zu erfinden und zu erzählen, die als Vorschläge für neue anthropologische Beschreibungsformen sowie für Neuordnungen von Handeln, Denken und Sozialität gelesen werden können (Leeker 2021a).


Richtungsweisend sind z.B. Inszenierungen von Kay Voges, in denen posthumane Narrative erdacht und getestet werden. So wurde etwa in der sogenannten telematischen Simultanaufführung Parallelwelt (2018, Trailer Parallelwelt), die zwischen dem Theater Dortmund und dem Berliner Ensemble in Berlin stattfand, eine quantenmechanische Welt gezeigt, in der Menschen und Ereignisse gleichzeitig und in unterschiedlichen Zeitschleifen existieren können.

https://www.youtube.com/watch?v=gNWfu8GEhek

Dieses Stück stellte die Existenz einer einzigen und verbindlichen Welt- und Menschheitsgeschichte sowie die Einmaligkeit des Menschen und seine Erkenntnisfähigkeit grundlegend in Frage. In Das Goldene Zeitalter (2013, Dokumentation: Wenn Gott die Wiederholung nicht gewollt hätte) wurde die an einem Abend aufgeführten Spielszenen von einer Datenbank vorgeschlagen, sodass von freier Wahl oder künstlerischer Genialität keine Rede mehr sein kann. Das Internet-Stück Don’t be evil (2019, DON’T BE EVIL - Volksbühne Berlin - Trailer) schließlich verschüttete die Schauspieler_innen in einer Orgie von Bildern, Motti, Technohypes und virtuellen Präsenzen, die die Versuche scheitern ließen, noch klare Ordnungen und Bedeutungszuweisungen anbringen zu wollen. Dieses Stück ermittelte nicht nur die Vorteile eines entkräfteten Deutungswillens, sondern es verhielt sich zugleich kritisch zu Hasstiraden im Internet. So verweist es auch auf die für digitale Kulturen konstitutive Ambivalenz, mit der Potenziale und problematische Effekte der technologischen Umwelten sowie der posthumanen Narrative immer zugleich und nebeneinander existieren und andauernd auszutarieren sind. In diesen Arbeiten geht es mithin um Kooperationen von technischen Operationen und menschlichen Performances, in denen beide untrennbar verbunden sind und etwas Eigenes bilden, sodass sie sehr zu Recht als posthuman zu bezeichnen sind.


Ein weiteres Beispiel ist die Theaterarbeit von Susanne Kennedy. Auslöser und Beschleuniger der Posthumanisierung ist eine von ihr entwickelte und immer wieder eingesetzte nicht-mehr-modern-menschliche Spielweise (Vortrag: Susanne Kennedy – rethinking theatre 2019). So tragen die Spieler_innen oftmals dünne Latexmasken ihrer eigenen Gesichter, die ihre Mimik verdecken und eine umfängliche Depersonalisierung und Entpsychologisierung in Gang setzen. Signifikant ist zudem der Umgang mit Texten, die nicht mehr gesprochen werden, sondern vielmehr als Tonspuren vom Band kommen, zu denen sich die Spieler_innen verhalten und bewegen. Auf dieser Grundlage werden die Akteur_innen Träger von nunmehr rein funktionalen Spieleinheiten wie Figuren, Sprache oder Emotionen. Kulturelle Symbolsysteme, allen voran Sprache, gehören den Menschen also nicht mehr; sie entziehen sich ihnen und sind forthin für Selbstausdruck und Kommunikation unverfügbar. Da dieses Theater die mit „dem Menschlichen“ verbundenen Fähigkeiten aufgibt und damit eben auch die modernen Grundlagen für Sozialität wie z. B. Verständnis, Austausch, Solidarität oder Nähe unterläuft, kann es folgerichtig keine „Menschengeschichten“ mehr erzählen. Es kommt vielmehr zu einem Zustand der Geschichtslosigkeit, in dem „Mensch“ ein gleichsam immer wieder entstehendes unbeschriebenes Blatt ist. Mit diesen Menschen ist dann auch kein Staat im modernen Sinne mehr zu machen. Vielmehr organisieren sich z. B. in Kennedys installativer Performance Coming Society (Philipp 2019) operative Gemeinschaften in geheimnisvollen Ritualen wie Fußwaschungen, Aufbahrungen und der bloßen Wiederholung kommunikativer Relikte zu posthumanen Endlosschleifen. An die Stelle des Politischen als an dissensuellen Aushandlungen interessierte Praxis tritt die Ritualität des Vollzugs von Handlungen, die sich ohne weitere Entwicklung und Zielführung außer der bloßen Performativität wiederholen. An diesem digitalen Theater wird mithin die posthumane Wende mehr als deutlich und in ihrer Ambivalenz greifbar. Auf der einen Seite erlaubt sie ein profundes Umdenken moderner Geschichte und Politiken, die auch immer solche sind, in denen sich der Mensch den Menschen und die Erde untertan macht. Auf der anderen Seite dürfte die Radikalität des „digitalen Theaters“ als posthumanes Performen auch größte Irritation und Ängste auslösen, da es den Menschen ohne besondere Rollen, Funktionen und Handlungsmacht, ja sogar ohne einen an Spezies orientierten  Selbstbezug zurücklässt.


Mit diesen posthumanen Narrativen und Denkfiguren findet die Kybernetisierung von Theater und Performance zugleich derzeit einen Endpunkt. Es kommt nämlich zu einer Umstellung in den Denkfiguren zur Ordnung von Welt, die durch die Ökologie von Crawford S. Holling seit den 1970er Jahren währt (Holling 1973). Es geht um das Modell der Resilienz ökologischer Systeme, das sich seither auch als Diskurs zur Ordnung von Gesellschaft und Politik sowie von individueller Psyche durchgesetzt hat (vgl. hier und im Folgenden auch: Sprenger 2019, Leeker 2021b). Mit diesem Modell wird Krise insofern zum Normalzustand, als Resilienz besagt, dass Systeme nicht nach einem stabilen Gleichgewichtszustand streben, sondern sich vielmehr durch eine dauerhafte Offenheit für die Begegnung mit aufkommenden Störungen konstituieren. Denn sie gründen darauf, ihr Leben und Überleben durch die Anpassung an Krisensituationen zu ermöglichen. Diese Anpassung ist unvorhersehbar und deshalb nicht planbar oder kontrollierbar. Der epistemologische und regierungstechnische (gouvernementale) Effekt dieser Umstellung ist, dass Unsicherheit zum Status quo von Existenz wird, sodass es nicht mehr darum gehen kann, Probleme politisch zu lösen und Verhältnisse zu verändern. Vielmehr gilt es, möglichst umfänglich auf Krisen vorbereitet zu sein, ohne dabei zu wissen, wann sie eintreten, wie sie ausfallen werden und wie ihnen zu begegnen ist. Es geht also nicht darum, Krisen zu verhindern und Sicherheit herzustellen und zu optimieren. Vielmehr ist dafür Sorge zu tragen, dass Systeme, Infrastrukturen oder Menschen auf ein Höchstmaß an unhintergehbarer Unsicherheit eingestellt werden, um sich bestmöglich und wohlgemut deren Bewältigung hinzugeben. Wo mithin die Kybernetisierung danach suchte, trotz einer grundlegenden Nichtberechenbarkeit stabile Systeme herzustellen, ist es nun angesagt, Systeme von Krisen und Katastrophen ausgehend zu denken und sie gleichsam ob der resilienten Selbstorganisation des Überlebens in Ruhe machen zu lassen.


Es sind sicher ob der Handlungsmacht von sogenannten smarten Umwelten Neu-Orientierungen für das Verständnis von Mensch und Welt in digitalen Kulturen nötig, wie sie in den aktuellen Zusammenkünften von Theater und Digitalität auch erdacht und erprobt werden. So ist etwa immer mit Algorithmen zu rechnen, die Zugang zu Welt sowie die Produktion von Sinn und sozialer Ordnung mit bestimmen. Zugleich sollte der holzschnittartige Blick in die Geschichte der Kybernetisierung von Theater und Performance gezeigt haben, dass Vorsicht geboten ist, um z.B. bei den neuen Geschichten nicht okkulte und psychedelische Aufladungen von Technologie mitzuschleppen oder die Asymmetrie der techno-humanen Handlungs-Ensemble geflissentlich zu übersehen. Das Paradigma der Resilienz schließlich ist eine Herausforderung, da mit ihm das Regime der Anpassung gleichsam existenziell und unhintergehbar wird. Es gilt nun ob dieser Vor-Geschichten und der neuen Krisen-Epistemologie, einen kühlen Kopf zu bewahren und Optionen für Verantwortlichkeit in technologischen Environments sowie für eine Subjektposition in den techno-humanen Anpassungsregimen erkunden.


Fazit: Jo Fabians Labor für Plastisches Denken – Jonglieren für Selbstbestimmung
Genau dies unternimmt Jo Fabian in seinem Labor für Plastisches Denken. Dafür ist entscheidend, dass sich seine Kybernetisierung von Theater und Performance grundlegend von deren in diesem Text skizzierter Geschichte unterscheidet. Im Fokus steht dabei das Verständnis von Selbstorganisation. Diese bezieht sich bei Jo Fabian nämlich nicht auf die Selbst-Steuerung von Systemen, die sich in der Geschichte der Kybernetisierung von Theater und Performance als Regime einer bedingungslosen Anpassungsfähigkeit techno-humaner Relationsgefüge zeigte. Bei Jo Fabian geht es vielmehr um Individuen, die im Vorgang der Produktion und Rezeption von Kunst und Performance da zu Subjekten werden, wo ihnen eine eigenständige und eigenverantwortliche Sicht auf Welt und Verhältnisse zugestanden und abverlangt wird. Ziel dieser Selbstorganisation ist für Jo Fabian, dass die Subjekte eigene Deutungen und Sinngebungen entwickeln, was exemplarisch an Theateraufführungen durchgeführt werden kann. Diese sind immer vorläufig, unbestimmt, unvorhersehbar, offen, gestaltbar und, vor allem unvollständig. Unvollständigkeit, d.h. das Unfertige und Unvollendbare, sind Jo Fabian sehr wichtig, da aus seiner Sicht das, was nicht geschieht, nicht gesagt oder nicht sichtbar wird, eine ebenso große Rolle spielen, wie das Gesagte und Sichtbare. Damit öffnet sich ein Raum des Unbekannten sowie des Nichtwissens, der per se epistemologische Sicherheit und fixe Interpretationen verunmöglicht. An deren Stelle tritt ein vorsichtiges und zugleich wagemutiges Jonglieren mit und für Bedeutungen, in dem es logischerweise keine Fehler geben kann, weil man nicht weiß, was ist, gewesen wäre oder sein sollte, sondern immer nur Optionen und Potenziale vorfindet. Somit sind Fehler selbst Sinngebung. Diese Selbstorganisation, die der Verantwortung von Subjekten für Sinngebungen entspricht, soll letztlich im Umgang mit dem Maschinischen, das für das Labor des Plastischen Denkens konstitutiv ist, da es um die Auslotung eines digitalen Theaters geht, den Menschen dem Maschinischen entreißen. Denn die Selbstorganisation des Plastischen Denkens geht gegen Automatismen und gegen Determinationen durch vorab festgelegte und immer gleich zu wiederholende Abläufe, Bedeutungen und Interpretationen. Jo Fabians Kybernetisierung von Theater und Performance baut mithin keine selbstorganisierten Systeme oder erzählt posthumane Welt- und Menschengeschichte(n). Sie entspricht vielmehr einer Ordnung reflektierten Erkennens und Denkens, oder kybernetisch ausgedrückt: es geht um eine Beobachtung 2. Ordnung. An der Stelle des Mottos der psychedelisch-okkulten kybernetischen Performances: Be-in and be-happy und das ihrer Nachfolgerin, der Resilienz: Help yourself, steht im Labor für Plastisches Denken die Aufforderung: Denk’ doch selbst. Es geht mithin bei der Fabian’schen Selbstorganisation in diesem Sinne um eine noch genauer zu erkundende Selbstbestimmung.


Aus diesen Beschreibungen lässt sich für das Labor für Plastisches Denkens mitnehmen, dass es für den Erhalt einer Subjektposition stehen kann, die wichtig ist als eine Figur der Widerständigkeit. Es geht dabei nicht mehr um ein modernes Subjekt, das aus der Welt herausgehoben war. Vielmehr ist man im plastischen Denken Teil eines Ganzes, in dem jede Regung von Bedeutung ist und einen Unterschied macht, weil sich mit ihr die Verhältnisse und Bezüge verändern; Jo Fabian nennt dies Zirkulation. Im Fokus bleibt aber eine, wie sie genannt werden könnte, relationale Subjektposition, mit der gestaltende Formung erst möglich wird als Wechselspiel von Gestaltet-Werden und Zugriff auf Gestaltung. Das Labor für plastisches Denken ist mithin in der Zeit und zugleich gleichsam da aus der Zeit gefallen, wo es entgegen der hier angeführten Tendenzen zur Posthumanisierung auf Subjekte sowie auf Distanz gegen Immersion setzt.


Das Labor für Plastisches Denken kann zudem für Konzepte zur Verbindung von Theater und Digitalität fruchtbar gemacht werden. In deren Fokus steht die Plastizität des Digitalen, die sich auf Grund von dessen technischer Konstitution in Information zeigt. Diese entspricht seiner Transformierbarkeit, denn Pixelgebilde lassen sich schnell verändern, sind nie fertig und nicht fixiert, sondern immer nur vorübergehende Manifestationen von immer neuen Verrechnungen. Es geht also um ein geradezu philosophisches Labor für das Erlernen und Wertschätzen von Selbstorganisation, die für subjektive Verantwortung in einer Existenz in Veränderbarkeit, Unvorhersehbarkeit und Irritation steht. Das heißt, es geht in Jo Fabians Kybernetisierung nicht um technoide Anpassungen, sondern um eine Schule der selbstorganisierten Gestaltung, die sich Denkfiguren aus der Kybernetik zunutze macht, um Selbstorganisation herzuleiten und plausibel zu machen. So erscheint es nur konsequent, dass sich im Zuge unserer Gespräche zum Projekt Theater als Rahmen und Zielvorgabe für das Labor für Plastisches Denken zunehmend auflöste. An dessen Stelle trat die Überführung der Experimente mit plastischen Gestaltungen in digitale Räume, die selbst schon Plastizität sind. Ein Beispiel dafür ist eine Montage von Auftritten und Handlungen verschiedenen Figuren in einem Raum, die potenzielle Bedeutungsträger und Trigger für Sinngebungen sind.

(Jo Fabian, Full House, 2022) https://www.codeoftheater.info/galerie/


Es gilt abschließend einen Begriff von Selbstbestimmung zu erkunden, der nicht einem naiven und emphatischen Verständnis von ihr anheimfällt. Diese Begriffssondierung verdeutlicht auch noch einmal die Unterschiedlichkeit historischer und Fabian’scher Kybernetisierung. Sie gründet nämlich weder auf einer unterdessen überkommenen, unbedingten Autarkie eines Subjektes, noch auf seiner uneingeschränkten Anpassungsfähigkeit, sondern sie liegt vielmehr in den Grenzen und Zwängen einer bedingten Gestaltung. Diese lässt sich mit Catherine Malabou (2006), einer neurowissenschaftlich unterrichteten Philosophin, ergründen; ein Gedanke, der dadurch angeregt ist, dass bei Jo Fabian wie bei Catherine Malabou Plastizität das Zentrum des Denkens und Forschens bildet. So geht die Philosophin davon aus, dass sich das Gehirn des Menschen durch seine Formbarkeit (Plastizität) auszeichnet. Diese unterscheide sie von Flexibilität, die auf andauernder und beliebiger, mithin bedingungsloser Anpassung beruhe; ein Modell, das an das Regime der techno-humanen Kooperationen gemahnt. Plastizität sei dagegen abhängig von einer vorgegebenen Form, einem Rahmen, in dem sich Formbarkeit entfaltet, die sich wiederum aus einem Wechselspiel von Formen und Geformt-Werden konstituiert. In diesem Wechselspiel liegt die bedingte Handlungsmacht des Menschen, etwa auch das zu formen, was ihn formt. Diese Plastizität ist gleichsam die Chance des Gehirns, denn sie ermöglicht es, z.B. Schädigungen zu kompensieren. Zugleich ist sie die Crux, denn eine einmal durch eine Schädigung erzeugte Form kann, im Gegensatz zum Modell der Flexibilität, in dem davon ausgegangen wird, dass über Anpassung eine Rückkehr zu einem Ausgangzustand immer möglich wäre, nicht mehr rückgängig gemacht werden. So könnte etwa ein traumatisiertes Gehirn wieder heilen, aber dabei dennoch z.B. die Fähigkeit zur Affizierung, zum Mitfühlen unwiederbringlich verloren gehen. Auf dieser Grundlage schwingt bei Catherine Malabou, darauf hat Bern Bösel eindringlich aufmerksam gemacht, im Modell der Plastizität immer das Moment der Destruktion von Affizierung und damit der Verunmöglichung von Bezugnahme auf den anderen, mithin von Sozialität mit (Bösel 2018).


Geht man von diesem Konstrukt aus, dann wäre ein plastisches Denken, um das es Jo Fabian geht, immer ein fragiler Prozess, der durch Begrenzungen sowie durch die potenziell immer mögliche Auflösung einer einmal gebildeten, neuro-materiell verbürgten Identität, der Fähigkeit zur Bezugnahme und zur äußerst bedingten Selbstbestimmung konfiguriert ist. Selbstbestimmung sieht dieses Modell nicht vor, ermöglicht sie aber, wenn man sich der Grenzen und Bedingungen von Wahrnehmung, Erkenntnis und Handlungsfähigkeit bewusst ist. Oder anders: Selbstbestimmung konstituiert sich aus dem Jonglieren, d.h. dem Ausloten des Wissens um ihren Verlust. Hier läge dann auch die soziale und politische Verantwortung eines Labors für Plastisches Denken als Labor der Selbstorganisation für Selbstbestimmung. Denn bei Selbstorganisation als selbstverantwortlicher Sinngebung stellt sich die Frage nach den Grenzen der subjektiven, staatlichen oder technologischen Deutungshoheiten und –angebote. Wo würde, so die Frage, im entfesselten Plastischen ein problematischer, d.h. manipulativer Wildwuchs der Sinnkonstruktionen beginnen? Es ginge darum, um noch einmal auf Malabous Diktum der potenziellen Desaffizierung zurückzukommen, im Wissen um die Bedingungen und Grenzen von Plastizität, die die Selbstbestimmung vorgeben, den Verlust von Affekten oder die Existenz von negativen Affekten zu integrieren und zu akzeptieren, um eine umgreifende Solidarität zu ermöglichen. Diese entsteht daraus, dass die destruktive Plastizität jeden unerwartet treffen kann und ein Mitfühlen für den anderen nötig machen könnte, und zugleich eine kritische Individualität zu gewährleisten (vgl. auch Bösel). Nötig wird mithin ein solidarisches Jonglieren für die nie erreichbare, aber immer zu avisierende Selbstbestimmung.