Code of Theater
Labor für plastisches Denken

                                            11 BlackBox

 

Wir sind es gewohnt, von einer Ursache auf eine Wirkung zu schließen und umgekehrt, solange es sich um eine lineare Kausalität handelt.
Wenn der Zusammenhang nicht erkennbar ist oder komplexer, so dass aufgrund eines Inputsignals in ein System unvorhersehbare Wirkungen als Outputsignal auftreten, ohne dass wir je ergründen könnten, wie das System zu diesem Output gekommen ist, haben wir es mit einem nichttrivialen System zu tun.  Wir könnten es mit einer Blackbox zwischen Input und Output beschreiben. Was darin passiert und die Umwandlung verursacht, können wir nicht wissen oder entschlüsseln.



Bei einem Menschen, der ja ein sehr komplexes System darstellt in dieser Betrachtungsweise, können wir nicht wissen, mit welcher Antwort auf die einfache Frage: "Wie geht es dir heute?" zu rechnen ist, da er so viele Möglichkeiten hat, darauf zu reagieren. Egal, wie er antwortet, wir können nicht wissen, wie diese Antwort in seinem Gehirn entstanden ist. Oft ist es sogar so, dass nicht einmal er selbst es weiß. Das Gehirn als menschliche BlackBox.

Bei Schauspieler*innen, die versuchen, lebendige und komplexe Menschen zu simulieren, wird auch dieser Effekt simuliert, indem sie so tun, als wüssten sie die Antwort nicht, die sie ja auswendig gelernt haben. Das führt leider oft dazu, dass der Schritt der Entscheidungsfindung einfach übersprungen wird und noch bevor das Publikum sich selbst ein Urteil bilden kann, wird es schon mit dem Resultat konfrontiert. Das verhindert die Eigenproduktion von Denklösungen und macht die Informationsverarbeitung und Interpretation zu einem trivialen vorproduzierten Vorgang. Da wir die Verarbeitungsprozesse im Zuschauerraum aber, wie wir deutlich gemacht haben, nicht kontrollieren können, macht es aus unserer Sicht Sinn, sich auch zwischen der Bühne und dem Beobachterstandpunkt des Zuschauers eine Blackbox zu denken, in welcher der Verarbeitungsprozess von Wahrnehmungen zu unerwarteten und sehr verschiedenen Ergebnissen kommen kann, die wir eben nicht mehr decodieren können, obwohl wir diese "Blackbox" selbst programmiert haben. Diese Möglichkeit ist sogar jener vorzuziehen, bei der sich die Darsteller*innen jeden Abend innerhalb ihrer Reproduktionen etwas Neues einfallen lassen müssten, um überraschender zu wirken und damit trotzdem nicht das Interpretationsfeld des Publikums erweitern helfen, wenn sie nicht gleichzeitig auch den Raum zur Verarbeitung gewähren. Das ist oft eine Frage des Timings. Retardierende Momente oder Loops und Sprechpausen könnten hier hilfreich sein. Eine tatsächliche Denkraumerweiterung kann aber auch über kontextuale Medien im Klang und Visualisierungbereich sowie über Bühnenraum oder Texterweiterungen geschehen.


In einem gesonderten Kapitel in der Laborarbeit zum „Plastischen Denken" werden Arbeitsmittel vorgestellt, welche diese Auffassung ganz praktisch und als Teile des Kunstwerkes vorstellen. Eine programmierte BlackBox findet sich als Download im OpenSource-Bereich des Labors.



Weiter