Wir folgen der Beschreibung Heinz von Foersters, der mit diesen von ihm eingeführten Begriffen (triviale und nichttriviale Maschinen) auf den grundlegenden Unterschied zwischen Systemen (Maschinen) hinweist, die in einer bestimmten Situation bzw. nach einem bestimmten Input nur eine Möglichkeit des Verhaltens haben, und Systemen, die in dieser Situation über zwei oder mehrere Möglichkeiten des Verhaltens verfügen. Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen für die Regulierung menschlichen Verhaltens, die in jeder Situation immer mehrere Verhaltensmöglichkeiten zulässt.
Triviale Maschinen haben nur einen Zustand: Sie liefern auf den gleichen Input immer den gleichen Output. Nichttriviale Maschinen haben mindestens zwei Zustände,
d.h., sie liefern auf den gleichen Input einmal diesen, einmal einen anderen Output. Schon in den 1960er-Jahren konnte man problemlos beide Typen von Maschinen bauen bzw. programmieren. Bei nichttrivialen Maschinen lässt sich mathematisch zeigen, dass es ab einer bestimmten Anzahl von Zuständen grundsätzlich unmöglich wird herauszufinden, nach welchen Regeln die Maschine aktuell den einen oder anderen Output liefert. Demnach ist ihr Verhalten auch nicht prognostizierbar. Sogar der Programmierer der Maschine kann diese Regeln nur dann herausfinden, wenn er verfolgt, welche Schritte sein Werk in der Vergangenheit vollzogen hat. (Foerster; Pörksen 2019)
Wenn wir den Menschen als ein nichttriviales System betrachten und es mit einem trivialen Computer vergleichen, lässt sich festhalten, dass der Computer (meistens) tatsächlich in stets gleicher Art und Weise unseren Anweisungen folgt. Es spielt keine Rolle, ob er eine Operation einmal oder hunderttausendmal mal ausführt, ob heute, morgen oder gestern.
Das nichttriviale System ‚Mensch‘ hingegen wird z.B. auf dieselbe gut gemeinte Frage, wie der Tag gelaufen sei, einmal freundlich, einmal mürrisch, einmal gelangweilt antworten. Er verwirklicht die Regeln seines Verhaltens stets von Neuem unter dem Einfluss der Prozesse, die er in seiner jüngsten Vergangenheit und in seiner ganzen Lebensgeschichte vollzogen hat.
In diesem mathematischen Sinne erscheint somit ein konkretes menschliches Verhalten einerseits als vergangenheits- oder erfahrungsabhängig, andererseits als grundsätzlich weder analysier- noch voraussagbar.
„So, wie eine Nervenzelle, die über den synaptischen Spalt entweder zur Weiterleitung des Signals einer Nachbarzelle angeregt wird oder durch einströmende Signale anderer Zellen auch zur Hemmung der Weiterleitung animiert wird." (Warren McCulloch)
Auf der Grundlage dieser Überlegungen wies Heinz von Foerster darauf hin, dass im Bildungsbereich schulische Institutionen leider oft zu „Trivialisationsanstalten" degradiert werden – und Lernende zu trivialen Maschinen –, indem man sie vor allem damit beschäftigt, auf einen bestimmten Input einen bestimmten Output zu erreichen.
Gegenüberstellung beider Systeme | ||
Mit ‚synthetisch determiniert‘ meint Heinz von Foerster, dass beide Systemtypen aus verschiedenen bekannten Bestandteilen zusammengesetzt sind. Im Zusammenwirken dieser Bestandteile ist der Zufall grundsätzlich ausgeschlossen. Übertragen auf den Menschen heißt das, dass man z.B. nicht urplötzlich im Ellbogen ein Kugelgelenk zur Verfügung hat. Der Zufall kommt erst durch die Zirkularität der Verhaltensregulation bzw. der Feedback-Kontrolle der ‚Maschine‘ ins Spiel.
Interessant scheint mir an dieser Stelle die Beobachtung, dass wir im Theater versuchen, Menschen und ihre Verhaltensweisen darzustellen und damit echte nichttriviale Maschinen zu simulieren. Dazu benutzen wir in den meisten Fällen determinierte Textvorlagen, also Stücke, die vom Autor schon vorgefertigt wurden, um dann selbst als möglichst „triviale Maschine“ ein einmal vorproduziertes Probenergebnis in immer der gleichen Art und Weise von Sprache, Gesang, Bewegung, Ausdruck und Emotion dem Publikum vorzuführen. Die Aufführung ist also vollständig trivial. Und damit ist in diesem Fall wohl „vollkommen künstlich" gemeint.
Dass Theaterkunst trivial sei, klingt wie eine Kritik, soll aber lediglich die Aufführungspraxis beschreiben.
Viel erstaunlicher ist diese Entdeckung bezüglich der Arbeitsweise im Theater, welche durch ständige Wiederholung einer Szene bis zum endgültigen, für die Regie zufriedenstellenden Ergebnis versucht, alle Unvorhersehbarkeiten aus dem Vorgang zu entfernen und ein „fehlerfreies“ Ergebnis zu erreichen, was nun wieder und wieder abgerufen werden kann. So würde auch eine triviale Maschine arbeiten. Paradox erscheint hierbei, dass diese Trivialisierung und Entmenschlichung der Arbeitsweise gerade die Darstellung und Simulation von nichttrivialen, also menschlichen Figuren im Sinn hat. Auch das ist weniger eine Kritik, als eben eine Paradoxie, auf die wir im Theater stoßen und es gibt noch mehrere davon, denn nur diese Form, sich selbst zu trivialisieren, erzeugt Ängste vor Versagen (Texthängern, falschen Tönen, Stürzen, verpassten Auftritten, Blackouts u.s.w.) Diese Angst wird durch die Anwesenheit des Zuschauers noch verstärkt, was auch in den meisten Fällen zur Ursache aller Abweichungen vom gewünschten Ergebnis werden kann.
Aus der Angst vor Fehlern, entstehen sie gerade. Dem könnte man nun begegnen, indem man die Darsteller*innen von den Ängsten befreit und alles Unvorhersehbare zum Teil des Kunstwerkes erklärt.
Ja, besser noch, die Paradoxien auflöst, indem man Freiheit und Zufall in das Bühnenwerk einführt und so bereits einen Teil der Arbeit wieder menschlich, unvorhersehbar und nichttrivial gemacht hat.
In einem Gedankenexperiment werden alle Steuerungsschnittstellen eines Theaterstückes mit nichttrivialen Entscheidungsmöglichkeiten ausgestattet. Bei der Regie setzen wir das vermutlich voraus, sie steuert die Darsteller*innen, die Darsteller*innen steuern ihre Figuren, die Figuren steuern das Geschehen (Handlung), das Geschehen steuert die lineare Informationsverarbeitung und den Interpretationsreflex der Zuschauer.
Wenn die Regie einen Plan hat, also eine Konzeption, was sie den Zuschauern mit dem Stück erzählen will und die Zuschauer das Gesehene beschreiben können und beides zu einem gewissen Prozentsatz übereinstimmt, ist nicht nur die Konzeption aufgegangen, sondern ist auch der Beweis erbracht, dass in allen vorhandenen Übertragungsschnittstellen eine Trivialisierung für die Informationsübertragung verantwortlich war. Dazu müsste man gar nicht jede Schnittstelle einzeln überprüfen.
Im anderen Fall weiß nicht einmal mehr die Regie und wissen schon gar nicht die Darsteller*innen, was die Zuschauer*innen überhaupt gesehen und gefühlt haben, oder beschreiben würden. Das würde aber auch bedeuten, dass wir von der Bühne das Publikum nicht mehr kontrollieren können oder sogar wollen. Ich weiß nicht, warum das Ängste bei den Theatermachern auslöst, vor allem bei den Dramaturgen. Vielleicht, weil man den scheinbar nicht mehr zielorientierten Arbeitsansatz unsinnig findet, oder eine unkontrollierte Interpretationsvielfalt nicht mehr steuern könnte. Es würden auf alle Fälle im Zuschauerraum vermehrt Dinge
gedacht, die keiner vorausdenken konnte. Und das kann nicht gewollt sein, wenn man wochenlang daran gearbeitet hat, dass möglichst alle im Saal das gleiche sehen, verstehen, fühlen und beschreiben können.