Code of Theater
Labor für plastisches Denken

                                        04 Hermeneutik

Lehre von der Auslegung und Erklärung eines Textes oder eines Kunst- oder Musikwerks 

oder das Verstehen von Sinnzusammenhängen in Lebensäußerungen aller Art aus sich selbst heraus (z. B. in Kunstwerken, Handlungen, geschichtlichen Ereignissen)

Wie erlangt man aber bei der Informationsaufnahme auch deren Bedeutung?

Beim „Informationsprozess“ muss man zwischen dem Interpretationsprozess und der Zeichenverarbeitung unterscheiden. Nur letzteres kann von einer Maschine geleistet werden. Das setzt einen dem Sender und Empfänger gemeinsamen bekannten Zeichenvorrat voraus und wird deshalb sehr trivial zu sehr genauen Ergebnissen führen. Wenn das Zeichen "2" dem Empfänger bekannt ist und mit dem mathematischen Wert '2' verknüpft wird, kann die Maschine damit rechnen. Sie kann die "2" verarbeiten und im System als Wert weitergeben.

Menschen müssen Informationen im Kontext ihrer Erfahrungen und dem gelernten Wissen im Umgang mit den Bedeutungen von Worten, Begriffen und Zeichen interpretieren. Dazu kommt noch ein mannigfaltiges Repertoire an Möglichkeiten, wie diese Informationen übermittelt werden. Der Ausdruck, der Klang, die Schreibweise oder der Kontext entscheiden mehr als der Inhalt, wie die Informationen verarbeitet werden.


Bei Maschinen, die Informationen verarbeiten, sorgen Algorithmen der Zeichen- und Signalverarbeitung dafür, wie die Information verarbeitet wird. Tatsächlich können sie aber die Bedeutung einer Information nicht erfassen. Sie vollziehen immer wieder die gleiche Operation: Informationsaufnahme, Verarbeitung und Weitergabe nach einem System der Zuordnung, welches vorher bekanntgegeben werden muss.
Der Informationsgehalt einer Nachricht kann durch den Empfang also noch nicht bestimmt werden. 
Erst die Verarbeitung und Interpretation dieser Nachricht wird einen Wert x enthalten, der entweder die Bedeutung 1 hat oder die Bedeutung 0. Wenn x = 0 ist, wird die Nachricht nicht weitergegeben und das System hat einen Output von 0.
Wenn x = 1 ist, wird die Nachricht weitergegeben und der Output des Systems ist 1. (Diese Entscheidung wird allerdings im Theater schon im Probenprozess vorweggenommen, so dass wir davon ausgehen müssen, auf die Bühne schaffen es nur Informationen, die einen Output von 1 haben. Davon sind zumindest die Darsteller auf der Bühne überzeugt.)
Wenn man das „hermeneutische Prinzip“ von Heinz von Foerster bei der Informationsverarbeitung zugrunde legt, wird aber erst durch den Zuschauer entschieden, ob das Material auch Bedeutungsträger ist.
Es bringt also noch nicht viel, dass ein Text sich selbst versteht. (Also, dem Output einen Wert von 1 zuordnet) Viel wichtiger ist, was er an Verarbeitungsmöglichkeiten im Zuschauer auslöst.
                                                                                                                       

                                                                                                                            Hermeneutisches Prinzip:


                                               Nicht der Sprecher bestimmt die Bedeutung des Textes, sondern der Hörer.



Bei Zeichen und Signalen jeglicher Art kann man sich irren, was die Bedeutung angeht. Sprache hingegen halten wir für so konkret, dass in Verbindung mit Geste und Ausdruck scheinbar keine Zweifel an deren Interpretation und Bedeutung möglich scheinen. Aber gerade die Sprache ist die zweifelhafteste Art von Kommunikation. Sie ist erstens sehr gut geeignet, Gedanken zu verstecken, sie ist zweitens auch immer vom festgelegten Vorwissen der Bedeutung von Worten abhängig.

Die Sprache in der Kunst bildet das aber gar nicht ab oder erfindet ständig neue Worte und Sinnzusammenhänge, die noch gar nicht eingegangen sind in das kollektive Bewusstsein. Wenn auf der Bühne deutsch gesprochen wird, glauben wir Deutsche zumindest automatisch, das ist gut - das versteh ich. Aber hier wird auch die Sprache zum künstlerischen Ausdruck, also vielmehr zu Zeichen und Signal. Sie leistet in den meisten Fällen sogar Widerstand gegen den alltäglichen und automatisierten Gebrauch von Sprache und Bedeutung. Denken wir an die Versform in der Dichtung. Mit dem unterschiedlichen Gebrauch des gleichen Wortes in unterschiedlichen Kulturkreisen können überdies Missverständnisse und Fehlinterpretationen des Gemeinten einhergehen. Das kann man oft bei unterschiedlichen Übersetzungen des gleichen Theatertextes beobachten. In all diesen Fällen bleibt aber grundsätzlich bestehen, dass die Bedeutung von Wörtern sich erst beim Empfänger manifestiert und vom Sender nicht mehr eineindeutig kontrolliert oder bestimmt werden kann.