Der Begriff der "Kybernetik" geht in der Neuzeit auf Norbert Wiener zurück (1948). Da sich Norbert Wiener ursprünglich mit Regelprozessen in Automaten beschäftigte, hält man den Kybernetikbegriff bis heute oft für ein Synonym für Maschinensteuerung. Das hat sich aber in den 60er und 70er Jahren geändert, indem er sich auf viele andere Wissenschaftsbereiche und regelbare Systeme, die damit erforscht und auch beschrieben werden konnten, erweitert hat. Wir finden ihn heute in den Sozialwissenschaften, in der Wirtschaft und speziell im Managementsegment oder in der Politik, sowie in der Medizin und in der Biologie vor. Er ist quasi universell geworden und umfasst natürlich auch Systemtheorie, Informatik und Robotik. Aber auch der Mensch ist Gegenstand kybernetischer Forschung geworden, seit die zu erforschenden Prozesse und Gegenstände nicht mehr losgelöst vom Beobachter dieser Systeme betrachtet werden. Dazu hat Heinz von Foerster mit der Kybernetik 2. Ordnung einen entscheidenden und für uns ausschlaggebenden Beitrag geleistet. Mit der Entwicklung von Rechenmaschinen und den Versuchen, Maschinen zu erfinden, die eigene Entscheidungen treffen können, entstand ein ganz neuer Bereich der Kybernetik, nämlich der der künstlichen Intelligenz (KI). Damit war auch die Vergleichbarkeit von Mensch und Maschine begründet und auch die ersten Zwitterwesen aus beiden tauchten als konstruierbare Projektion auf. (Cyborgs)
Wir wollen uns aber auf die Steuerung von Prozessen konzentrieren, die von Menschen und mit Menschen betrachtet werden können. Und in unserem speziellen Fall danach fragen, wie sich das im Theater bei der Herstellung von Kunstwerken und in der Hierarchie der Theaterstruktur darstellen lässt.
Die Steuerung und Regelung von Systemen lässt sich relativ einfach auf das Theater anwenden, denn wenn man „System" durch „Theater" ersetzt, haben wir bereits ein sehr glaubwürdiges Modell für ein kybernetisches System vor uns, welches durch ein Anweisungssystem sowohl in seiner Struktur wie auch im Produktionsprozess selbst über eine Steuerung verfügt.
Nichts wird dem Zufall überlassen, alles wird bis zur vermeintlichen Premierenreife probiert und einstudiert, um dann in unzähligen Vorstellungen auf immer die gleiche Art der Anordnung im linearen Verlauf und des künstlerischen Ausdrucks ein Theatererlebnis für ein zahlendes Publikum zu reproduzieren. Was aber bei einem Roboterarm oder irgendeiner anderen regelbaren Maschine gewünscht wird, könnte im Theater zum Problem werden, denn durch die fortwährende Wiederholung wird auch die Gefahr der Automatisierung und der Mechanik der künstlerischen Darstellung erhöht, so dass es zu Gegensteuerungsvorgängen im Theater kommt. Ganz vermeiden kann man den mechanischen Ablauf der 20. Vorstellung aber leider nicht. Nichts ist mehr so lebendig wie beim ersten Mal im Entstehungsprozess. Die Kunst, auch jeder weiteren Aufführung wieder neues Leben einzuhauchen, ist eine besondere Anstrengung, die man sich sparen könnte, wenn das Kunstwerk von vornherein mit Relais ausgestattet wäre, die eine ständige Überwachung des Zustandes des Kunstwerkes von außen überflüssig machen und in jeder Aufführung einen hohen Wert an Wachheit und Aufmerksamkeit der Darsteller garantieren würden, um den lebendigen Ausdruck der Entscheidungsfindungen auf der Bühne sowie in der Kommunikation zwischen Bühne und Zuschauerraum begünstigen. In Bezug auf die Darsteller*Innen wäre sogar eine Auto-Kybernetik, also eine grundsätzliche Selbststeuerung ins Auge zu fassen.
Daraus folgt, dass wir besonders an der in Klammern gesetzten "Selbststeuerung von (dynamischen) Systemen" interessiert sind und untersuchen wollen, wie sie funktionieren könnten. Dabei gehen wir natürlich auch der Frage nach, was Information, Kommunikation und Feedback im Theatersystem bedeuten.
Quellen:
KybernEthik, 1993, Merve Verlag Berlin, Heinz von Foerster
Cybernetics of Cybernetics: Or, the Control of Control and the Communication of Communication, 1974, Heinz von Foerster
Short Cuts, 2001, Heinz von Foerster,
Grundprinzipien der Selbstorganisation,1990, Karl W. Kratky, Friedrich Wallner
Vorträge Heinz von Foerster, 1999, zu unterschiedlichen Anlässen
Maschinendämmerung: Eine kurze Geschichte der Kybernetik, 2016, Thomas Rid
Zur Geschichte der Kybernetik, 2008, Albert Müller
Computermacht und Gesellschaft, 2001, Joseph Weizenbaum
Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, 1978, Joseph Weizenbaum
Kybernetik - Wikipedia